philosophische Galerie

Philosophie über das Violinspiel in zwölf Bildern

Diese Philosophie ist in über zwanzig Jahren Bühnenerfahrung und über zwölf Jahren Unterrichtspraxis entstanden. So konnte ich im Unterricht die Entwicklung etwa Fünfjähriger bis zu Menschen im Rentenalter auf allen Niveaustufen — vom Anfänger bis Weltklassespieler — begleiten. Ich danke hierfür allen, die mich dazu inspirierten.

1.

Definition

Wer Geige und Bogen spielt, ist ein Geschichtenerzähler, ein Klangschauspieler.

2.

Niveau — wie komme ich da hin?

Das Violinspiel — auf höchstem Niveau — verlangt vom Ausführenden ausgefeilteste Technik und Disziplin zum Üben. Disziplin heißt, in ruhiger, von fremden Einflüssen freier Atmosphäre zu üben (Handy aus).

Das Studium von Tonleitern, Etüden und Übungen zur Klangfarbgestaltung ist Basis. So kann ein solides handwerkliches Fundament geschaffen werden durch völlige Harmonie der Hände und des Körpers. Das Instrument möge perfekt zum Spieler passen — es gibt große und zierliche Geigen — auch auf Wunschanfertigung. Jeder möge so lange danach suchen, bis er zufrieden ist.

Dieses Fundament entwickelt sich dann mit entsprechender Ausdauer im Laufe einer Geigerkarriere durch Spiel- und Bühnenerfahrung, auch durch Experimentieren, weiter. Wer eine Technikkur machen möchte, kann detaillierte Abhandlungen der Meister Galamian, Capet und Yankelevich u. a. studieren. Allmählich wird jede Geige spielende Person herausfinden, dass schließlich die zuverlässigste die eigene Methodik ist. Denn jeder Mensch hat eine individuelle Konstitution und kann sportive und musikalische Elemente für sich in Ruhe auf- und ausbauen.

Exzellente Technik, liebevolle Hingabe an die Musik, genauestes Zuhören, Einfühlungsvermögen, Gestaltungswille sowie Spielraum für spontane Improvisation im klanglichen Feinstdetail lassen das Musizieren immer wieder neu entstehen: Spiel im Flow.

Ziel ist immer, Musikstücke auf maximales Niveau zu bringen, in dem Bewusstsein, dass mit der Zeit die Literatur reift. Doch, wer über die entsprechenden Mittel verfügt, kann in kurzer Zeit mehr erreichen, als jemand, der bemüht monatelang an einem Stück arbeitet, feilt.

Spaß am Spielen. Spiel. Reine Spielfreude. Spielgenuss.

3.

Über Inspiration und Transpiration

Für das Musizieren, das Geigespielen in der klassischen Musik, inspiriert und trägt a priori der Notentext.

Wer weiß, was er tut, wer die Lesart beherrscht und dann davon loslässt, kann stetig seinen Horizont erweitern. Also möge auch die Werkstatt des Komponisten allmählich bewusst erschlossen werden. Wer weiter gehen möchte, kann selbst schreiben und improvisieren.

Dazu gehört auch ein Verständnis der Interdisziplinarität der Künste.

Kunst allgemein lebt vom Ton, der Melodie, Harmonie ihrer Elemente, dem Detail und dem Ganzen. Dieser Anspruch und die Neugierde am Entdecken beflügeln.

4.

Über Phantasie

Phantasie, bzw. das Erleben von Musik in Bildern (bzw. Metaphern), kann bereichernd wirken. Das Musizieren gewinnt an Lebendigkeit, es wird ein SPIEL.

5.

Über Distanz zum Tun

Humorvolle Distanz zum Tun und eine gewisse Portion Selbstironie, Mut, Vertrauen und Dankbarkeit sind in einer Musikerlaufbahn wertvolle innere Eigenschaften.

6.

Über Schwächen

Schwächen sollen erkannt werden und zum Guten verwandelt werden.
Das einem bereits als Gute Gegebene kann zum Brillanten perfektioniert werden.
Und: „Ohne Angst kein Mut.“

7.

Über die Zielgruppe: Das Publikum … und wie man es „catcht“

Es ist größter Genuss, dem Publikum das Gefühl von bewegter Leichtigkeit durch Klang zu vermitteln. So kann ein berührendes Konzerterlebnis entstehen, wo das Publikum verzaubert wird. Das Publikum reagiert auf das Bühnenerlebnis mit Applaus. Seine Energie ist unmittelbar Reaktion auf das Spielen.

8.

Über die Unterrichtssituation

Im Unterricht geht es — wie auf der Bühne, in Technikübungen oder bei Stücken — um den Spaß am Klang, das Erschließen der Struktur eines Stückes, das Wohlgefühl innerhalb der Raumatmosphäre in Übertragung auf die Bühnensituation. So können alle voneinander lernen. Allmählich baut sich das Wissen vom selbstständigen Üben mit Strategie, Spaß und Perspektive auf. Wissen wie!

9.

Teaching Philosophy (nach Benjamin Franklin)

„Tell me and I will forget,
Show me and I may not remember,
Involve me and I will understand.“

Erweiterung von mir:
„Once I've understood, life gets wiser.“

10.

Über Pausen und Fitness

Bei Müdigkeit oder abnehmender Konzentration gilt: Lieber pausieren als forcieren. Grundsätzlich tut es gut, während Übeeinheiten Fitness- oder Yogaübungen zu machen, frische Luft zu amten. Ruhe- und Erholungstage sind wichtig, um loszulassen, dem Körper und dem Geist eine Inkubationsphase des Verarbeitens des Gelernten zu gönnen.

Vollendetes Spiel ist ein Legato des ganzen Körperausdrucks in allen Bewegungen.

11.

Über das Atmen

Wer völlig frei atmet, hat unbegrenzte klangliche Möglichkeiten.

12.

Über das Violinspiel aus ganzheitlicher Sicht

Zu Zeiten der Energiewende möge jedem Geiger auch bewusst sein, dass das Musizieren auf diesem so geheimnisvollen Instrument — fast ausschließlich aus Holz — etwas Natürliches ist, das nicht einmal eine Steckdose braucht …

So möge jeder Geiger dankbar sein, auf einer der edelsten und perfektesten Erfindungen der Menschheit harmonische Vollkommenheit ausdrücken zu dürfen.

Die Menschen heutzutage verlieren den Sinn für die Natürlichkeit aufgrund der hohen Technikorientierung immer schneller. Umso mehr kann man sich über diese Berufung freuen als Musiker, der die internationalste aller Sprachen spricht: Musik.

© Viktoria Kaunzner, März 2013